Lexikon

Aus: Rock in Deutschland auf CD-ROM

Checkpoint Charlie

Uwe von Trotha
Sprache (10.8.1941), Michael Ehlers Gitarre (5.8.1953), Joachim Krebssalat Keyboards (27.11.1952), Jürgen Bräutigam Bass, Gesang (24.9.1954), Lothar Stahl Schlagzeug (2.12.1954)
Mit Rockmusik und deutschen Texten gegen "Spießer, kalte Krieger, verkalkte Offiziere, ganz bestimmte Politiker und Schreibtischtäter mit Unterleibern von Käthe Kruse-Puppen" trat 1967 die Gruppe Checkpoint Charlie an. Auf Straßen, Uni-Feten und in Jugendzentren nahmen die Politrocker unverschlüsselt zu Gegenwartsthemen Stellung und verfehlten dabei - durch bewußte Provokationen der Zuhörer - nicht selten ihr Ziel.

Checkpoint Charlie gehörte - ebenso wie Reinhard Mey, Insterburg & Co. oder Schobert & Black - zu den Vortragenden auf dem letzten Burg Waldeck-Festival. Ein Live-Mitschnitt eines Konzertes an der Uni Erlangen erschien 1970 als Langspielplatte. In der "Scheiße" betitelten "Rock-Operette" beschäftigten sie sich mit den Problemen des Umweltschutzes. Durch zahlreiche Auftritte gehörte Checkpoint Charlie Ende der 60er Jahre ebenso zum festen Bestandteil der studentischen Oppositionsbewegung, wie Ton Steine Scherben. Als Beispiel für die deutsche Rockszene und den Begriff "Rock und der Anspruch kultischer Aufklärung" fand Checkpoint Charlie Eingang in die 13-teilige NDR-Sendereihe "Sympathy For The Devil". 1971 löste sich die Gruppe wegen mangelnder Zielvorstellungen kurzfristig auf. Mit dem Programm "Notwehr", einer antimilitärischen Show, ging Checkpoint Charlie 1972 wieder auf die Straße, Mit dabei: Uwe von Trotha (Sprache), Joachim Krebssalat (Orgel), Harald Lindner (Gesang), Werner Heß (Bass) und Bernd Schneider (Schlagzeug). Ein 30-Minuten-Live-Mitschnitt ihres damaligen Programms wurde vom Hessischen Rundfunk im Fernsehen gezeigt. Nach "Tourneestreß, ohne finanzielle Basis und 'nem Haufen Schulden" (Selbstdarstellung) verschwand das Rock-Theater 1973 von der Bildfläche.

Erst 1977 kehrten Uwe von Trotha (Sprache), Joachim Krebssalat (Keyboards), Wilfried Sahmen (Gitarre), Jürgen Bräutigam (Bass) und Lothar Stahl (Schlagzeug) mit der Rockrevue "Blutsturz" in die Rockszene zurück. Die Gruppe beteiligte sich 1977 am Vlotho-Festival und der 78er Folgeveranstaltung an der Porta Westfalica, dem größten Subkultur-Festival Deutschlands.

Ihre LP "Frühling der Krüppel" erschien 1978 bei Schneeball Records (Musik im Vertrieb der Musiker) und hat Beschreibungen vom "Wahnsinn des deutschen Alltags" zum Inhalt. Auf nur drei Titeln prangern sie mit hintergründiger Ironie den Konsumterror an ("Wenn sie dich verkaufen wollen, laß dich nicht von ihrem Wahnsinn überrollen", zeichnen das Leben "Vom Fritzle" nach ("Er gewöhnt sich jetzt das denken ab") und offerieren unverständliche Philosophien ("Du schwarzer Spaziergänger mit den unparfümierten Gesichtszügen; der Stein in deinem Kopf, ein versteinerter Traum, ist wie die Steine dieser Stadt"). Auch die durchsichtige Vinyl-LP des Jahres 1979, in einer simplen Plastiktüte verpackt, enthält nicht nur "härtesten Anarcho-Rock" (STERN), sondern auch konkrete politische ("Hitler in Dosen") und gesellschaftspolitische ("Folter für John Travolta") Textbeiträge. Checkpoint Charlie, ruppig und eckig in der Musik, direkt und kompromißlos in der Aussage, "ist in erster Linie eine Live-Band" (Gruppen-Info), die auf zahlreichen alternativen Veranstaltungen, wie z. B. beim 79er "Umsonst & draußen" an der Porta Westfalica zu sehen war.

1980 geriet die Band wegen ihres auf der Bühne stehenden Pappschweines mit dem Aufdruck "Franz Josef" in die Schlagzeilen der überregionalen Presse. Die Staatsanwaltschaft nahm ein Konzert vom 28.7.79 beim "Burghaldefest" in Kempten zum Anlaß, die Gruppe wegen Beleidigung des bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zu verklagen. "Die Richter sahen den Tatbestand der Beleidigung erfüllt", kommentierte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, denn "das Vorzeigen des Pappschweines sei beleidigend. Entscheidend sei nicht, wie die Äußerung gemeint war, sondern wie sie beim Publikum ankommt." Das amerikanische TIME-Magazin berichtete unter der Überschrift "Polemik und giftige Blüten" über diesen Rechtsfall, nach dem die Gruppe 16.000 Mark zu zahlen hatte.

Verständlicherweise nannte Checkpoint Charlie die 81er Langspielplatte "Krawall im Schweinestall". In schnoddriger Alltagssprache und mit ungehobelter Rockmusik zielen sie darauf wieder auf den "profitgeilen, zynischen Industriellen" und den "gewissenlosen, korrupten Politiker". "Unsere LP entstand vor dem Hintergrund juristischer Schweinereien, aber auch in einer Atmosphäre der Solidarität" (Hüllen-Text).

1982 ging die Musikgruppe Checkpoint Charlie mit dem politischen Programm "Unser Herzschlag heißt Wut, unser Lied heißt Kampf" auf "Feuer & Flamme"-Tournee. Des öfteren war das ebenfalls aus der "Familie Hesselbach"-Kommune stammende "Rotznasentheater für Kinder" mit auf der Reise: "Irgendwann mußte es langweilig werden, gegen die Eiseskälte dieser Gesellschaft anzubrüllen oder anzuträumen, wenn deine Vorstellungen vom Zusammenleben und -arbeiten sich immer nur im Kopf abspielt - deswegen unsere Kommune, die aus 17 Menschen besteht."


GRÜSS GOTT MIT HELLEM KLANG (1970)
FRÜHLING DER KRÜPPEL (1978) Schneeball 2015
DIE DURCHSICHTIGE (1979) Schneeball 2019
KRAWALL IM SCHWEINESTALL (1981) Schneeball 2024
FEUER & FLAMME (1982) Schneeball 1033

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